Stomachion

 

 

 

Die Girih-Kacheln

Linienornamente in Form von Vielecken und geometrischen Mustern sind das Markenzeichen der Bauwerke aus dem islamischen Mittelalter. Diese so genannten Girih-Muster (nach dem persischen Wort für Knoten) verzieren sowohl Paläste wie die Alhambra im spanischen Granada als auch Moscheen und Schreine verehrter Imame im Nahen Osten. Wie haben es die islamischen Baumeister geschafft, die hochkomplexen geometrischen Verzierungen zu erzeugen?

Des Rätsels Lösung haben Peter Lu von der Harvard-Universität und Paul Steinhardt von der Universität Princeton gefunden. Die beiden Physiker betrachteten verschiedenste Girih-Muster an islamischen Bauwerken von der Türkei bis nach Indien sowie architektonische Schriftrollen und die Verzierung mittelalterlicher Koran-Ausgaben. Dabei entdeckten sie, dass sich fast alle Muster in „Girih-Kacheln“ zerlegen lassen – ein Satz aus fünf einfachen Vielecken: ein Zehneck, ein Sechseck, ein Fünfeck sowie ein Rhombus und eine Fliege. Die Kanten der Kacheln haben allesamt die gleiche Länge, und jede trägt ein einfaches Muster, dessen Linien die Kanten halbiert. Beim Aneinanderlegen der Kacheln verbinden sich die Linienmuster zu einem zusammenhängenden aperiodischen Netzwerk, das sich über die gesamte Fläche erstreckt. Die islamischen Künstler stützten sich also bereits auf eine von moderner Mathematik durchsetzte Methode, wie sie erst 500 Jahre später im Jahr 1973 auch der Entdeckung der aperiodischen Pakettierung mit zwei Kacheln durch den Physiker Roger Penrose zugrunde lag.

Wie die Wissenschaftler vermuten, sorgte dieser geometrische Trick bereits Ende des 12. Jahrhunderts für einen regelrechten Design-Durchbruch in der islamischen Welt. Denn die Verwendung der Girih-Kacheln erlaubte nicht nur eine einfachere, schnellere und genauere Arbeit, sondern ermöglichte Konstruktionen von extremer Komplexität.

 

Muster aus vier der fünf Girih-Kacheln (Farbsand auf Leichtstoffplatte, 70 x 70 cm).
Girih-Muster im Darb-e-Imam-Schrein in Isfahan, in dem Peter Lu eine aperiodische Parkettierung entdeckte. Entstanden 500 Jahre vor Roger Penrose.
Die 5 Girih-Kachelformen: ein Zehneck, ein Sechseck, ein Fünfeck sowie ein Rhombus und eine Fliege.