Stomachion

 

 

 

Die Hilbertkurve

Die Hilbertkurve ist eine so genannte raumfüllende Kurve oder FASS-Kurve (engl: „space-filling, self-avoiding, simple and self-similar“ – raumfüllend, selbst-ausweichend, einfach und selbstähnlich). Sie wurde 1891 von dem deutschen Mathematiker David Hilbert (1862-1943) gefunden. Die erste raumfüllende Kurve wurde ein Jahr zuvor von dem italienischen Mathematiker Guiseppe Peano (1858-1932) entdeckt. Die Entdeckung verglich der Wissenschaftsjounalist David Darling mit einem „Erdbeben in der traditionellen Struktur der Mathematik“ und der russische Mathematiker Naum Wilenkin schrieb: „Alles lag in Trümmern, alle grundlegenden mathematischen Begriffe hatten ihre Bedeutung verloren.“ Was war passiert? Wieso waren diese Kurven ein so „tiefer Schock für die Mathematiker“ (Martin Gardner)?

Es ging um das Verständnis des Dimensionsbegriffs. Wir alle stimmen darin überein, dass der Raum dreidimensional ist. Eine Ebene ist zweidimensional, eine Linie eindimensional und ein Punkt schließlich ist nulldimensional. Alle Mathematiker waren sich einig, dass eine kurvige Linie, auch wenn sie noch so gekrümmt war, eindimensional sein musste und erst eine Ebene zweidimensional war. Bis eben Peano und Hilbert ihre „raumfüllenden Kurven“ entdeckten, die, wenn man einem bestimmten Konstruktionsprinzip folgt, die gesamte Ebene und sogar den gesamten Raum in einer ununterbrochenen Linie durchlaufen, ohne sich zu schneiden und dabei absolut jeden möglichen Punkt in der Ebene oder im Raum erreichen. Die Frage ist: sind diese Kurven eindimensional oder zwei- bzw. dreidimensional?

Mit unserem normalen Dimensionsbegriff ist das nicht mehr nachvollziehbar. Der franzsösich-amerikanische Mathematiker Benoît B. Mandelbrot (1924-2010) führte dazu den Begriff „gebrochene“ bzw. „fraktale“ Dimension ein, wie sie bei bestimmten natürlichen oder künstlichen Gebilden oder geometrischen Mustern (Fraktalen) vorkommen. Fraktale weisen einen hohen Grad von Selbstähnlichkeit auf, z.B. wenn ein Objekt aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst besteht, wie z.B. ein Baum mit seinen Verästelungen oder ein Blumenkohl mit seinen Röschen.

Raumfüllende Kurven finden Anwendung in Simulationen mit Hilfe der Computer-Numerik, bei der Organisation effizienter Streckensysteme in der Logistik oder auch bei der Steuerung von Waffensytemen.

Hilbertkurve und ihre ersten sechs Iterationsschritte (Nägel und Satinfaden auf Leichtstoffplatte, 70 x 70 cm).
1. Stufe=hellblau, 2. Stufe=gelb, 3. Stufe=pink, 4. Stufe=weiß, 5. Stufe=gelb, 6. Stufe=rot.

Die fraktale Hilbertkurve wird durch stufenweise Verkleinerung und Wiederholung konstruiert: Ausgangspunkt ist ein Quadrat, das in 4 gleich große Quadrate aufgeteilt ist, deren Mittelpunkte miteinander verbunden sind. Jedes einzelne dieser Teilquadrate wird dann ebenfalls wieder in 4 Teilquadrate unterteilt, deren Teilelemente wiederum miteinander verbunden werden: die oberen beiden nebeneinander, die unteren beiden gespiegelt gedreht. Dieses Kompositionsprinzip wird in jedem weiteren Interationsschritt wiederholt, wodurch die eindimensionale Kurvenlinie im unendlichen jeden Punkt der zweidimensionalen Ebene durchläuft. Die Kurve füllt auch den dreidimensionalen Raum vollständig aus.